Aktuelles

Psychotherapie und Gesellschaft           24.04.2025

Aus der Berufsordnung der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz (https://www.lpk-rlp.de/fileadmin/pdf-downloads/BO_LPK_RLP.pdf) geht hervor, dass Psychotherapeut*innen sich auch für die "soziokulturellen Lebensgrundlagen", die maßgeblich die psychische Gesundheit mit beeinflussen, einsetzen sollten. Der Wortlaut im §1, Abschnitt 2 lautet: "Sie beteiligen sich darüber hinaus an der Erhaltung und Weiterentwicklung der soziokulturellen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die psychische Gesundheit der Menschen."

Aufgrund dieser Berufsaufgabe versuche ich, je nach eigenen Kapazitäten, möglichst oft auch gesellschaftliche Prozesse in den mir gegebenen Möglichkeiten mit zu beeinflussen. Dieser Anspruch war der Antrieb, um Kontakt mit der deutschen Polizeigewerkschaft Niedersachsen aufzunehmen, nachdem in Oldenburg der 21jährige Lorenz A. von der Polizei erschossen wurde. Rassismus und andere strukturelle Diskriminierungsformen fügen Menschen und damit unseren Gesellschaften erhebliche Schäden zu. Nicht nur für die körperliche Unversehrtheit, sondern auch für die psychische Gesundheit ist es von größter Bedeutung, dass wir uns mit diesen strukturellen Diskriminierungen beschäftigen und versuchen, sie zu verändern. 

 

"Sehr geehrter Herr Seegers, 

nachdem ich heute mehrfach Ihren Namen in den Nachrichten gelesen habe, habe ich mich entschieden, Ihnen direkt zu schreiben, nachdem ich Ihre eMail-Adresse im Internet finden konnte. Ich bin Psychotherapeutin und einige meiner Klient*innen erfahren ihr Leben lang Rassismus in den unterschiedlichsten Formen. Ihre Aussage, dass die Hautfarbe bei Polizeieinsätzen "keine Rolle" spiele, finde ich enttäuschend ("Der DPolG-Vorsitzende Seegers betonte gegenüber dem NDR Niedersachsen, dass die Hautfarbe bei Polizeieinsätzen keine Rolle spiele. "Grundsätzlich geht es bei polizeilichem Handeln nicht darum, ob jemand eine Person of Color ist oder Weiß und deutsch. Das ist nicht die Bewertungsgrundlage - sondern die konkrete Einsatzsituation", sagte Seegers. Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/polizeischuesse-oldenburg-100.html). 

Enttäuschend dahingehend, dass sie die oft kostenlose und frei zugängliche Bildungsarbeit vieler Aktivist*innen völlig ignoriert, ebenso wie das gut belegte Konzept von internalisiertem Rassismus. Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber die Aussage, dass die Hautfarbe "keine Rolle" spielt, können Sie nur deshalb treffen, weil sie selbst (und der Großteil Ihrer Kolleg*innen) weiß sind. Aus dieser privilegierten Position heraus kann diese Aussage gut vertreten werden, aber es zeigt, dass in der Institution Polizei die Thematik "Rassismus" deutlich zu wenig Berücksichtigung findet. Und damit einhergehend, dass viel zu wenig Selbstreflektion stattfindet, was eigene rassistische Positionen und Überzeugungen angeht. Und diese müssen keineswegs bewusst sein, es gibt viele Menschen (einschließlich mir!), die von sich behaupten / behauptet haben, nicht rassistisch zu sein und währenddessen Rassismus reproduzieren / reproduziert haben. Niemand ist frei davon, Rassismus hat in der Menschheitsgeschichte eine lange, verheerende Tradition. Und es handelt sich in vielen Fällen nicht um böse Absicht oder um eine aktiv selbst angeeignete Strategie, aber in unserer Sozialisierung und auch in unserer aktuellen Gesellschaft ist Rassismus für von Rassismus Betroffene allgegenwärtig. Um dies nachvollziehen zu können, müssen wir, die Nicht-Betroffenen, Betroffenen zuhören und ihre Erfahrungen (auch oder sogar besonders mit der Polizei) ernst nehmen. Es gibt mittlerweile viele gute Anbieter von Antirassismus-Schulungen, in denen die Auseinandersetzung mit diesen Themen und speziell auch eigene Selbstreflektion stattfinden kann. Wenn Ihnen wirklich etwas daran liegt, dass die Hautfarbe nicht mehr oder zumindest weniger ausschlaggebend für Handlungen / Entscheidungen / Einschätzungen etc. Ihrer Kolleg*innen ist, dann setzen Sie sich für eine flächendeckende Einführung genau solcher Schulungen ein. 

Ich bin nicht daran interessiert, Gräben zu ziehen oder zu polarisieren. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir uns mit den auch sehr unbequemen Problemen in unserer Gesellschaft (und dazu zählt auch Rassismus) bewusst und aktiv auseinandersetzen müssen, wenn uns daran gelegen ist, wirkliche Verbesserung und Gerechtigkeit für alle herbeizuführen. Und die Polizei hat als Institution besonders viel Macht und dementsprechend besonders viel Verantwortung genau dafür. Ich hoffe auf eine lückenlose Aufklärung im Fall von Lorenz A. und verbleibe mit freundlichen Grüßen, Miriam Naser"

Buchvorstellung 
Lea Dohm und Mareike Schulze -Klimagefühle

Relevanz für die Psychotherapie: Gefühle rund um die Klimakrise, Abwehrmechanismen, Copingstrategien

Lea Dohm und Mareike Schulze, die Gründerinnen der Psychologists for Future (https://www.psy4f.org/), behandeln in diesem Buch den wichtigen Themenkomplex der Gefühle rund um die Klimakrise. Neben der Abhandlung der potenziell entstehenden Gefühle werden auch Abwehrmechanismen und deren Konsequenzen beleuchtet. Ein wichtiger Teil des Buches beschäftigt sich mit den Handlungsmöglichkeiten, die uns in Anbetracht der Klimakrise individuell und kollektiv zur Verfügung stehen.

Die Verdrängung der Klimakrise und ihrer Auswirkungen und das dadurch ausbleibende kollektive Handeln wird laut der überwältigenden Mehrheit der Natur- und Klimawissenschaftler*innen katastrophale Konsequenzen mit sich bringen. Dies wird wiederum massive Folgen auch für die psychische Gesundheit der Menschen haben. Die Auseinandersetzung mit diesen sehr unangenehmen Themen und die Reduktion der eigenen und der kollektiven Verdrängung sind die Schlüsselfaktoren, um die Auswirkungen der Klimakrise wenigstens noch abmildern zu können. Dafür müssen wir uns mit den entstehenden Gefühlen rund um die Klimakrise beschäftigen. Dieses Buch bietet einen guten Einstieg dazu. 

(Hinweis: Buch selbst erworben, unbezahlte Werbung) 

 

Buchvorstellung 
Şeyda Kurt - Radikale Zärtlichkeit- Warum Liebe politisch ist

Psychotherapeutischer Bezug: Liebesfähigkeit, Bindungen, Normen, Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen

In diesem Buch mit dem Untertitel "Warum Liebe politisch ist" beschäftigt Şeyda Kurt sich mit den Kräften hinter den Vorstellungen und Normen über die Liebe und zeigt die daraus resultierenden Konsequenzen sowohl individuell als auch kollektiv auf. 

"Ich behaupte, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der mächtige Institutionen, Gesetze und das zirkulierende kollektive Wissen unermüdlich daran arbeiten, manche Wahrheiten aufrechtzuerhalten. Auch die Wahrheiten der Liebe. Es sind Wahrheiten, die über unsere Körper herrschen sollen und in ihrem Kern von patriarchalen, rassistischen und kapitalistischen Logiken zusammengehalten werden. Es sind hierarchisierende Muster, die sich tief in die Textur unseres Denkens und Fühlens eingefressen haben. Und sie äußern sich darin, wir wir miteinander kommunizieren. Wie wir einander berühren, ob und wie wir einander schützen." 

Das Buch eröffnet neue Möglichkeiten der Liebe, der Beziehungsgestaltung und Bezugnahme aufeinander, die authentischer, freier und gleichberechtiger sind als die gesellschaftlich noch vorherrschenden Normen und Vorstellungen über Liebe. 

Da Liebe und Beziehungen in fast jeder Psychotherapie eine große Rolle einnehmen, können die Überlegungen in diesem Buch auch psychotherapeutisch relevant sein und dabei helfen, eine neue, selbstbestimmte Position auf die Liebe zu entwickeln. 

(Hinweis: selbst erworbenes Buch, unbezahlte Werbung)

Buchvorstellung 
Danny Ramadan - Nebelhorn Echos  

Relevanz für die Psychotherapie: innere Anteile, Ego - States, Traumatisierung, Traumafolgestörungen, Sucht, Identität, Grenzüberschreitungen und Grenzen ausloten, Wiederholungszwang.

Inhaltswarnung: emotionale, körperliche und sexualisierte Gewalt, psychische Störungen, Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung, Diskriminierung aufgrund der Herkunft.

In diesem Roman, der an vielen Stellen schwere und belastende Themen abhandelt, schafft Danny Ramadan es, die Auswirkungen von Traumatisierungen, die zunächst unverarbeitet bleiben, in intensiver Art und Weise darzustellen. Insbesondere wird das mögliche Eigenleben innerer Anteile, die aus verschiedenen Gründen die Grenzen des Innenraums immer wieder verlassen, intensiv und künstlerisch dargestellt.  Innere Anteile werden zum einen als eine das Überleben sichernde Ressource und zum anderen als Traumafolge-Qual dargestellt.

 

 

"Manchen hat die Welt ihr Gefühl von Sicherheit nie zerstört, und das sieht man. Nie mussten sie tief in sich selbst einen Brunnen graben, in den sie ihre Geheimnisse hineinbrüllten, um ihn dann abzudecken. Nie mussten sie sich so sehr in ihr Inneres verkriechen, dass ihre eigenen Hände und Füße ihnen fremd wurden und ihr Herz in einem Körper schlug, der ihnen nicht mehr gehörte. Nie mussten sie Trost finden, obwohl für sie jede Verbindung zur Welt gekappt war."

"Khalila sagt mir, wir würden mit unseren Erinnerungen umgehen, als seien sie klare Bilder unserer Vergangenheit, doch das seien sie nie. Wir bemalten sie mit unserer Schuld und Scham. Wir vergrößerten unsere eigene Rolle bei vergangenem Leid. Wir fühlten uns schuldig an Dingen, die wir nicht ändern konnten."

"Die Geschichte in mir schmerzt wie eine unbehandelte Wunde. Sie wurde nie angehört, und ich muss sie aussprechen. Sie kriecht in mir herum wie ein eingesperrtes Tier, das um Luft ringt. Sie zittert."

"Die Erinnerung fühlt sich an wie eine nasse Schwimmweste. Hinter meinem Rücken zugeschnallt, über meinen Schultern eingehakt, festgezurrt. Sie spült Salzwasser in meine Augen und durchtränkt mein Bettzeug. Ich versuche, tief Luft zu holen, doch ich atme nur Meersalz ein. Ich blicke auf, und der Geist meines Vaters schwebt waagerecht über meinem Körper, sein Blut tropft mir auf die Stirn." 

""Diese Welt ist ein Trümmerfeld", sagt sie. "Wir waten knietief im Schlamm unserer Zeit, und wir werden nur durchkommen, wenn wir einander festhalten." (...) "Wassim." Sie lockt mich zurück. "Du musst dich ja nicht auflösen in den Menschen um dich herum. Du kannst Brücken hin zu ihnen bauen.""

"Ich bin wütend auf die Tränen, die sich hervordrängen. Ich ächze, als trüge ich ein Gewicht, für das ich zu schwach bin. Ich zittere und verberge mein Gesicht in den Händen. Ich weine. "Genau so. Fühlt sich gut an, oder?" Das Weinen kommt in Wellen, wie ein Meer. Dawood hält mich im Arm, ich weine an seiner Schulter."

Aufgrund der teilweise sehr plastischen Darstellungen von Traumata und deren Folgen im psychischen Innenraum würde ich das Lesen dieses Buchs nur bei grundlegender psychischer Regulationsfähigkeit empfehlen.

(Hinweis: Buch selbst erworben, unbezahlte Werbung)

Redebeitrag als Vertreterin der Psychologists for Future am 02.02.2024

"Wir setzen uns für Klimagerechtigkeit ein. Wir nutzen unser psychologisches Wissen für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen und für die dafür notwendigen sozial-ökologischen Veränderungen. 

Es ist dabei Teil unseres Selbstverständnisses, dass niemand diskriminiert oder ausgeschlossen werden darf. 

Der 43. Deutsche Psychotherapeut:innentag hat im November 2023 eine Resolution verabschiedet, in der es unter anderem heißt: „Die Demokratie und die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte sind die Säulen für Frieden und Freiheit in unserer Gesellschaft. Die demokratischen Werte sind auch Grundstein für die psychische Unversehrtheit (…) von Individuen. Sie ermöglichen die freie Entwicklung der Persönlichkeit, fördern vielfältige Lebensweisen, sichern den Schutz von (…) vulnerablen Gruppen ebenso wie die Selbstbestimmung sowie die Mitbestimmungs- und Teilhaberechte aller.“

Psychologisch-beraterische und psychotherapeutische Arbeit braucht eine nicht-verhandelbare Menschenwürde. 

Diskriminierungserfahrungen im Rahmen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit können wesentlich zur Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen beitragen.

Wir Psychotherapeut*innen sind in der Verpflichtung, uns auch den gesellschaftlichen Entwicklungen und Kontexten zu widmen. Psychische Gesundheit oder Krankheit entstehen nicht in einem Vakuum. Psychische Gesundheit braucht neben dem Erhalt der ökologischen Lebensgrundlagen auch eine gerechte, diskriminierungsfreie gesellschaftliche Grundlage. 

 

Wir sehen die Verantwortung der Psychologie für gesellschaftliche Entwicklungen, insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die deutsche Psychologie zur NS-Zeit wesentlich von der faschistischen Ideologie bestimmt war. Daher sagen wir als Psy4F Trier, dass es die Verantwortung unseres Berufsstandes ist, auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen ein besonderes Augenmerk zu richten und uns stets für die Einhaltung der universellen Menschenrechte und die Achtung der Menschenwürde stark zu machen. 

Auch vor dem Hintergrund der ökologischen Krisen und der Klimakrise geraten die Gesellschaften zunehmend unter Druck. Dies lässt die rechte bzw. rechtsextreme Strategie, vereinfachte Scheinlösungen für hochkomplexe Probleme und das Schaffen von vermeintlichen Sündenböcken, für viele Menschen attraktiv erscheinen.

Dem müssen wir uns entschieden entgegenstellen. Es gibt keine psychische Gesundheit in faschistischen Systemen, wir brauchen eine gerechte, pluralistische Gesellschaft, die bereit ist, marginalisierte Menschen in besonderem Ausmaß zu schützen.  

Die Grenze des Sagbaren ist in den letzten Monaten und Jahren immer weiter verschoben worden, auch in den großen Volksparteien, die Brandmauer gegen rechts ist zumindest in der Politik in weiten Teilen gefallen. Dies hat schon jetzt massive Auswirkungen auf die psychische Gesundheit rassifizierter und anderweitig diskriminierter Menschen. 

Nun sind wir als Gesellschaft in der Verantwortung. Lasst uns die kompromisslose Einhaltung der Menschenrechte und die Achtung der nicht verhandelbaren Menschenwürde für alle immer wieder einfordern und verteidigen, im Großen und im Kleinen. Lasst uns unsere jeweiligen Privilegien füreinander einsetzen und mit Entschlossenheit die demokratischen Grundwerte verteidigen.  

Denn: Nie wieder ist jetzt!"

©2025  Jelvani Productions - Webdesign und Umsetzung

Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen

Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.